Leidest du auch manchmal unter deinem Steinzeitstoffwechsel?
Sind wir einer Stresssituation ausgesetzt, egal ob körperlich oder psychisch, schüttet unsere Nebenniere eine Extraportion Adrenalin ins Blut aus. Denn Adrenalin hilft uns, schnell an unsere Energiereserven zu kommen. Wir haben damit genügend Kraft, um unseren Gegner im Kampf zu besiegen oder schnell genug vor der Säbelzahnkatze wegrennen zu können.
Blutdruck und Puls schnellen in die Höhe. Die Bronchien werden weit, damit wir auch noch das letzte Sauerstoffmolekül aufnehmen können. Der Blutzuckerspiegel steigt, damit unsere Muskeln alles aus sich rausholen können. Und weil wir jetzt echt keine Zeit für einen gemütlichen Toilettengang haben, wird noch die Verdauung runtergefahren.

Du kämpfst nicht mit Säbelzahnkatzen?
Deinem Stoffwechsel ist das ziemlich egal. In jeglicher Stresssituation laufen genau diese Vorgänge trotzdem in deinem Körper ab. Dass wir das alles gar nicht mehr brauchen, weil Wegrennen oder eine kleine Schlägerei nun wirklich selten in Frage kommen, hat unser Organismus im Laufe der Jahre aber immer noch nicht begriffen und wappnet sich deswegen auch heute noch in jeder Belastungssituation für Flucht und Kampf. Hält der Stress an, werden Adrenalin-, Noradrenalin- und Cortisolspiegel ständig hochgehalten. Das macht auf Dauer nicht nur unheimlich müde und erschöpft, es schadet auch dem Herz-Kreislauf-System und fördert zudem Angsterkrankungen.
Was hat das jetzt mit Nebenwirkungen zu tun?
Du hast natürlich schon von Beta-Rezeptoren-Blockern, oder kurz „Betablockern“, gehört. Betablocker heben die Wirkung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin zum Teil auf, indem sie die Beta-Rezeptoren in unserem Organismus blockieren. Adrenalin ist der Agonist am Beta-Rezeptor, weil es nach dem Andocken an den Rezeptor eine Wirkung hervorruft. Beta-Rezeptoren-Blocker sind Antagonisten, weil sie zwar an den Rezeptor andocken, die normalerweise darauf folgende Wirkung aber unterdrücken.
Beta-Rezeptoren sind Teil unseres vegetativen Nervensystems, und wir kennen verschiedene Untertypen. Da sind zum einen die Beta-1-Rezeptoren, die hauptsächlich am Herzen sitzen, wo sie die Pulsfrequenz beeinflussen. Dockt Adrenalin dort an, schlägt das Herz schneller. Schicken wir einen Betablocker ins Rennen, besetzt jedoch dieser die Rezeptoren. Das Adrenalin findet nicht mehr so viele freie Stellen und das Herz schlägt langsamer.
Genauso spielt sich das auch an der Niere ab. Dort gibt es nämlich ebenfalls Beta-1-Rezeptoren. Dockt das Adrenalin dort an, wird das Hormon Renin ausgeschüttet. Renin verengt die Blutgefäße und lässt den Blutdruck somit steigen. Besetzt ein Betablocker die Beta-1-Rezeptoren an der Niere, ist dort nicht mehr so viel Platz für das Adrenalin übrig und der Blutdruck sinkt.
Ob mit oder ohne Stress: Man kann Betablocker also bei Tachykardie oder Bluthochdruck einsetzen.
Jetzt haben wir aber ja gelernt, dass für eine erfolgreiche Flucht mehr Sauerstoff vonnöten ist. Wie praktisch, dass es an der Lunge ebenfalls Beta-Rezeptoren gibt! Diese sind ein wenig anders gebaut und heißen deswegen „Beta-2-Rezeptoren“. Wenn das körpereigene Adrenalin dort andockt, bekommen die Bronchien das Signal, schön weit zu werden, damit möglichst viel Luft in die Lunge gelangt. Und wenn sich ein Betablocker draufsetzt? Genau, dann kann es sein, dass die Bronchien recht eng werden. Darum sollten Menschen mit Asthma oder anderen Erkrankungen, die die Luftwege sowieso schon verengen (chronische obstruktive Lungenerkrankung, COPD), keine Betablocker einnehmen. Sonst könnte ihnen schon mal die Luft wegbleiben. Allerdings gibt es Betablocker, die etwas gezielter an Herz und Niere wirken („Beta-1-selektive“) und bei denen dann weniger (nicht keine!) Nebenwirkungen an der Lunge auftreten. Und es gibt welche, bei denen man das nicht so genau steuern kann („unselektive“).
So können also Nebenwirkungen entstehen.
Zur Verdeutlichung bemühe ich nochmal Schlüssel und Schloss. Beta-Rezeptoren gibt es an unterschiedlichen Stellen und mehreren Subtypen im Organismus. Man könnte sie als Einzelschlösser innerhalb einer Schließanlage betrachten. Arzneimittel sind in den meisten Fällen aber Generalschlüssel, die theoretisch an allen Schlössern schließen können, weil es (noch) selten gelingt, den Schlüssel passend für lediglich ein Schloss zu produzieren. Sie schließen demzufolge an Schlössern, die eigentlich nicht gebraucht werden und dessen Türen manchmal besser geschlossen blieben. Der Pharmakologe Gustav Kuschinsky hat es ganz gut auf den Punkt gebracht:
„Wenn behauptet wird, dass eine Substanz keine Nebenwirkung zeigt, so besteht der dringende Verdacht, dass sie auch keine Hauptwirkung hat.“
Gustav, Kuschinsky, Pharmakologe
Danke, dass du dich um die Arzneimitteltherapiesicherheit deiner Bewohnerinnen, Bewohner, Patientinnen und Patienten kümmerst .
Christine


