Blutdruck senken, stärkste Schmerzen lindern oder sogar gefährliche Bakterien töten: diese Macht hat ein winziges Bröselchen Arzneistoff!
Ein kleines Bisschen zu viel kann schwere Nebenwirkungen verursachen. Und kombiniert man Arzneistoffe ungünstig, können sie gar lebensbedrohliche Wechselwirkungen anrichten.
"Wie kann das sein? Wie genau funktionieren Medikamente eigentlich?"
Es geht abwärts! Steig ein!
Um im Körper wirken zu können, muss ein Arzneimittel erst einmal in den Organismus hineingelangen. Aber wo genau ist dieses ominöse „im Organismus“? Im Magen? Im Darm?
Auch, wenn das vielleicht seltsam klingen mag, aber solange sich der Arzneistoff im Verdauungstrakt befindet, ist er eigentlich noch „draußen“. Wenn du schon einmal einen Kirschkern verschluckt hast, weißt du, was ich meine: Der kam nämlich (hoffentlich!) ganz unverändert hinten wieder raus. Er wurde weder aufgelöst, noch ist er in den Blutkreislauf gewandert. Aber erst wenn der Arzneistoff gelöst in die Blutbahn gelangt, ist er drin! Aber wie kommt er da rein?
Ein Medikament kann auf sehr vielen Wegen in den Organismus gelangen. Das ist (unter anderem) abhängig von der Applikation, also von der Art und Weise, wie ein Medikament verabreicht wird. In den nächsten Wochen wird es zu diesem Thema spannende Informationen geben!
Die „Invasion“ ist der Fachbegriff für alle Prozesse in unserem Körper, die den Arzneistoff vom Ort der Anwendung (Magen-Darm-Trakt, Haut, Enddarm, usw.) zum Wirkort transportieren sollen. Ein Arzneimittel kann ja nur dann wirksam werden, wenn genug davon dort ankommt.
Tabletten und Kapseln zum Schlucken sind immer noch die gängigste Form der Arzneimittelanwendung, deshalb schauen wir und diesen Weg mal genauer an. Tabletten sind vergleichsweise einfach herzustellen und für die meisten Patienten unkompliziert in der Anwendung. Doch dieser Weg birgt viele Unsicherheiten.
Schon beim Schlucken wird es spannend, denn die Route über den Magen und Darm gleicht einem Abenteuer. Unser Körper möchte uns nämlich vor potenziell gefährlichen Stoffen schützen, indem er zahlreiche Barrieren schafft, die es ihnen erschweren (aber nicht unmöglich machen) ins Blut zu gelangen.
„Auf dem Weg ins Blut kann eine Menge passieren. Wie gelingt es trotzdem?“
Zunächst muss die Freisetzung des Wirkstoffs aus der Tablette funktionieren. Die Tablette muss in Magen schnell genug zerfallen, damit sich der Wirkstoff auflösen kann. Denn wenn sich die Arzneistoffteilchen in der Tablette nicht ausreichend auflösen, können sie nicht durch die Darmschleimhaut in Richtung Blut gelangen. Die pharmazeutischen Hersteller haben das aber mit einer entsprechenden Rezeptur schon halbwegs sichergestellt. Mit einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr kannst du das aber zusätzlich unterstützen.
Im Magen warten dann die Magensäure und damit eine sehr saure Umgebung (pH-Wert zwischen fast null und vier) darauf, die Tablette anzugreifen. Das ist noch ein wenig saurer als unverdünnter Zitronensaft oder Essig.
Bestimmte Arzneistoffe vertragen die Magensäure nicht gut, deshalb erhalten diese einen magensaftresistenten Überzug. (Kleine Zwischenfrage: Weißt du, ob magensaftresistente Medikamente vor oder nach dem Essen oder sogar nüchtern eingenommen werden müssen?) Mit diesem überstehen sie den Magen und gelangen unversehrt in den Dünndarm, wo die eigentliche Arzneistoffaufnahme stattfindet. Denn: Vom Magen aus gelangt kaum etwas direkt ins Blut. Der hat andere Aufgaben, wie etwa das Zerkleinern und Durchmischen des Nahrungsbreis.
So, ist der Arzneistoff dann endlich mal im Dünndarm angekommen, kann er über die Darmschleimhaut ins Blut aufgenommen werden – oder in der Fachsprache: resorbiert werden. Das ist der entscheidende Schritt, denn was nicht ins Blut gelangt, kann auch nicht wirken!
"Unser Darm ist in den vergangenen Jahren arg geschrumpft!"
Durch seine wirklich riesige Oberfläche ist der Dünndarm mit seinen unzähligen Schleimhautfalten, Schleimhautzotten, -krypten und Mikrovilli auch hervorragend dafür geeignet. Würde man so einen Dünndarm richtig schön glattbügeln, kämen schon ein paar Quadratmeter zusammen. Allerdings ist unser Darm in den vergangenen Jahren arg zusammengeschrumpft. Zumindest in den Anatomie-Lehrbüchern. Ging man vor einiger Zeit noch von etwa 200 Quadratmetern aus, messen neuere Techniken „nur“ noch 30 – 40 Quadratmeter. Was soll man sagen, bei den heutigen Immobilienpreisen müssen wir uns alle einschränken.
Jetzt müssen wir diesen Wirkstoff noch durch die „Türchen“ der Darmschleimhaut schleusen. Das funktioniert zum Beispiel durch die sogenannte passive Diffusion. Dabei bewegen sich Stoffe aufgrund der unterschiedlichen Konzentrationen vom Ort mit höherer zur niedrigeren Konzentration. Ausgleichende Gerechtigkeit der Physik sozusagen. Dieses Prinzip findet man häufig in der Natur. Glücklicherweise verhalten sich etwa die Sauerstoffmoleküle in der Luft so. Nicht auszudenken, wenn die sich alle in einer einzigen Zimmerecke versammeln würden.
Und so gelangt der Arzneistoff ins Blut. Durch den ständigen Abtransport durch den Blutfluss bleibt ein Konzentrationsgefälle erhalten, die resorbierten Arzneistoffteilchen machen Platz, sodass immer mehr Arzneistoffmoleküle ins Blut nachrücken können.
Normalerweise tummeln sich Nahrungsbestandteile und auch Arzneimittel zwischen einer und drei Stunden im Dünndarm. Verkürzt sich diese Zeit – zum Beispiel durch Durchfall oder Abführmittel(!) – kann die in das Blut aufgenommene Wirkstoffmenge erheblich sinken.
Auch Erkrankungen, die die Magen- und Darmbewegungen beeinflussen (Verstopfung oder Durchfall im Wechsel), können diese sogenannte Resorptionsquote kritisch verändern.
Juhu, wir sind drin! War´s das jetzt schon?
Nein. Da ist nämlich noch der Türsteher an der Leber…
Mach´s gut bis nächste Woche!
Danke, dass du dich um die Arzneimitteltherapiesicherheit deiner Bewohnerinnen, Bewohner, Patientinnen und Patienten kümmerst ❤️.
Christine


