Kommt dir folgende Geschichte irgendwie bekannt vor?
Was ist eigentlich mit Oma Lehmann los? Sie atmet langsam und flach und so richtig anwesend ist sie auch nicht. Außerdem ist ihre Sprache verwaschen. Die alarmierten Rettungskräfte denken sofort an einen Schlaganfall. Aber beim Bodycheck entdecken sie auf Bauch und Rücken insgesamt unglaubliche vier Fentanylpflaster!
Du ahnst es sicher: Oma Lehmann hat eine handfeste Opiatüberdosis abbekommen.
Ist so etwas auch schon mal in deinem Team passiert?
Ganz ehrlich, auch ich als Apothekerin konnte mir lange Zeit nicht vorstellen, wie in aller Welt man mehrere Schmerzpflaster auf dem Patienten oder der Patientin quasi „vergessen“ kann! Solche Geschichten steckte ich daher insgeheim immer in die Märchenschublade – bis ich vor einigen Jahren eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin begonnen habe. Im Praktikum in der Notaufnahme bin ich dann nämlich eines Besseren belehrt worden. Und so wurde Oma Lehmann geboren und begleitet mich seitdem in meinen Fortbildungen für Altenpflegekräfte.
Wusstest du, dass ca. 25.000 Menschen jedes Jahr in Deutschland an vermeidbaren (!) Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten sterben oder weil die Medikamente falsch eingenommen wurden? Das entspricht mindestens einem Flugzeugabsturz pro Woche. Was gäbe das für einen Aufschrei, wenn jede Woche so ein vollbesetzter Flieger vom Himmel fallen würde! Fliegen war bis in die 1970er Jahre tatsächlich noch ganz schön riskant. Während seitdem durchgängig an einer Verbesserung der Flugsicherheit gearbeitet wurde, hat sich in der Arzneimitteltherapiesicherheit aber leider noch zu wenig getan.
"Jedes Jahr sterben in Deutschland 25.000 Menschen an vermeidbaren (!) Neben- und Wechsel-wirkungen"
Es ist also höchste Zeit, dass wir uns mit dem komplizierten Begriff ARZNEIMITTEL-THERAPIESICHERHEIT (kurz AMTS) befassen. Einfach erklärt: AMTS bedeutet, dass wir alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Medikation so läuft wie geplant.
Für alle, die es gerne genau hätten, hier noch die offizielle Definition:
„AMTS umfasst sämtliche Maßnahmen, die einen optimalen Medikationsprozess gewährleisten. Ziel ist es, Medikationsfehler zu verringern. Als Medikationsfehler gilt ein Abweichen von dem für den Patienten optimalen Medikationsprozess, das zu einer grundsätzlich vermeidbaren Schädigung führt oder führen könnte.
Medikationsfehler können jeden Schritt des Medikationsprozesses betreffen und von allen an diesem Prozess Beteiligten verursacht werden: von Ärzten, Apothekern oder Angehörigen anderer Gesundheitsberufe sowie von Patienten und deren Angehörigen.“
"Keine Arzneimitteltherapie ist völlig ohne Risiko!"
Keine Arzneimitteltherapie ist also völlig ohne Risiko. Es sind ja auch jede Menge Fehlerquellen vorhanden:
- bei der Verordnung durch die Ärztin/den Arzt,
- bei der Abgabe in der Apotheke,
- bei der Verteilung durch Pflegepersonen,
- bei der Dokumentation und
- bei der Anwendung (Applikation). Das ist vor allem dein Part!
Je mehr Medikamente ein Mensch einnehmen muss, umso wahrscheinlicher kommt es logischerweise zu Fehlern. Wir brauchen also dringend Strategien, um die Arzneimitteltherapie sicherer zu machen.
So, aber wo fangen wir denn da jetzt bei diesem gigantisch großem Thema an?
Genau: am Anfang. Wir schauen uns erst einmal an, wie so ein Medikament überhaupt wirkt. Wir übersetzen zusammen den Beipackzettel und klären in diesem Zusammenhang gleich, warum es praktisch bei jedem wirksamen Medikament immer auch Nebenwirkungen gibt.
Bei etwas mehr als sechs Prozent aller Menschen, die in der Notaufnahme landen, sind Arzneimittelnebenwirkungen der Grund. In jedem Fall aber verringern Nebenwirkungen die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten.
Und warum solltest ausgerechnet du dich mit dem Thema Arzneimittel-nebenwirkungen befassen?
Einem Menschen, der an einer Nebenwirkung leidet, kann nur richtig geholfen werden, wenn diese auch als solche erkannt wird und der behandelnden Ärztin oder dem behandelndem Arzt entsprechend kommuniziert wird. Und genau hier kommst du ins Spiel: Denn niemand ist vermutlich so nahe dran an den Patientinnen und Patienten wie du oder dein Team.
Pflegekräfte sind absolute Hauptfiguren im Nebenwirkungserkennungskrimi!
Und da ist noch etwas: Ein Medikament kann nur wirksam und sicher sein, wenn es auch korrekt angewendet wird. Bei den meisten Medikamenten gilt halt nicht einfach „Hauptsache, drin!“ 😉. Deshalb wird hier auch immer mal wieder das Thema „Arzneimittelapplikation“ auftauchen.
Und das ganze in angenehm kurzen Lernhäppchen, die du gerne weitergeben kannst.
Lass uns gemeinsam die Welt deiner Bewohnerinnen, Bewohner, Patientinnen und Patienten ein wenig sicherer machen .
Christine


